Das ist Julie. Sie ist 15 Jahre alt und geht in die 10. Klasse der höheren Töchterschule. Das ist ihr letztes Jahr in der Schule und eigentlich träumt sie davon, Kunstmalerin wie Rosa Bonheur zu werden, eine berühmte Tiermalerin des 19. Jahrhundert. Sie schmökert gern in alten Zeitschriften, die ihre Mutter und ihre Oma auf dem Trockenspeicher sammeln.
DER BAZAR war eine Mode- und Belletristik-Zeitschrift, die weit über die Grenzen des deutschsprachigen Raumes verbreitet und beliebt war.
2. März 1861: Meine Oma hat mir heute einen Artikel aus dem Bazar vorgelesen und meinte, ich solle gut zuhören. In dem Beitrag, unterzeichnet mit Marie Louise, hieß es, manche Frauen seien davon überzeugt, eine bedeutende Künstlerkarriere vor sich zu haben. Sie würden sich umsonst mühen weil sie nicht talentiert genug sind. Das wären nur wenige von uns Frauen. Der Durst nach Ruhm treibe die Frauen gegen den Willen ihrer Familien dazu, mit ihren Werken sogar an die Öffentlichkeit zu gehen. Das kann nur zu einer Niederlage führen, es sei denn, jemand, der es beurteilen kann, hat die Frau als hochbegabt und berufen erkannt. Ich bin bestimmt nicht begabt genug, um eine Künstlerin zu sein. Dabei zeichne ich so gerne, zum Beispiel meinen Mops Fufu.
27. Juni 1861: Meine Oma hat mir ein Kleid
aus dem BAZAR genäht!
Ich finde es ganz wunderbar!
1. Mai 1864: Heute zeigte ich meiner Mutter und meinem Vater die Zeichnung von Fufu, an der ich sehr lange gezeichnet habe, sie fanden sie recht hübsch und gut, meine Oma meinte aber, dass ich lieber etwas für meine Aussteuer sticken solle. Meine Aufgabe sei es jetzt, dafür zu sorgen, dass mein zukünftiger Mann ein gemütliches, geordnetes Heim bekäme, zeichnen könne ich ja immer noch, wenn das erst mal geschafft sei. Was ist aber, wenn mich keiner heiratet? Dann werde ich wie meine Tante Amalie, die ewig darauf gewartet hat, dass Bernhard sie heiratet, daraus ist aber nichts geworden. Sie tut mir leid!
7. Dezember 1865: Die Helene von nebenan ist schon verlobt! Ich mache mir große Sorgen, dass ich sitzenbleibe, das heißt, nicht geheiratet zu werden. Vielleicht bin ich ja nicht hübsch, charmant und weiblich genug, um das Interesse eines Mannes zu fesseln oder zu arm. Mein Herr Vater ist nur ein kleiner Beamter und meine Frau Mutter stöhnt oft darüber, wie sie mit so wenig Geld einen ordentlichen Haushalt führen soll. Was soll nur aus mir werden?
27. Juni 1866: Man kann das ganze auch anders sehen! Heute las ich mit meinen eigenen Augen den Artikel eines Juristen im BAZAR. Er schreibt doch tatsächlich, dass es gut für Männer und Frauen wäre, wenn mehr Frauen eine Arbeit hätten, vor allen die Unverheirateten. Dann würden sie der Familie nicht so auf der Tasche liegen. Es wäre auch dafür gut, um das Verhältnis der Geschlechter zu verbessern. So können Männer nicht mehr mit Frauen machen was sie wollen!
29. Dezember 1866: Der Vater ist gestorben! Er war doch noch so jung, ach wie schrecklich. Gestern haben die Mutter, Großmutter und ich ihn begraben. Es kamen viele Leute. Die Frau Herzog schaute so mitleidig auf mich und fragte mich, was ich denn jetzt machen wollte. Meine Mutter meinte, das wir doch erst mal in Ruhe trauern dürften, aber ich glaube, das die Witwenpension nicht so üppig ist und sie sich auch schon Sorgen macht. Wie kann ich denn für meinen Unterhalt sorgen? Ich kenne gar kein Mädchen, dass etwas lernt und von zu Hause weggeht. Außer die Tochter von Lisa, unserer Wirtschafterin. Sie lernt in einer Hauswirtschaftsschule und wird Wirtschafterin wie ihr Mutter. Aber das ist doch nichts für mich, das kann ich mir nicht vorstellen.
27. Juni 1868: Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, weg aus meinem Elternhause zu gehen. Wie soll ich das anstellen? Es ist nicht schicklich für mich, alleine in der Fremde in ein Gasthaus zu gehen, um da zu übernachten oder auch nur etwas zu essen. Von den anderen körperlichen Bedürfnissen nach dem Essen und Trinken ganz zu schweigen.
27. Januar 1869: Ich habe eine Möglichkeit für eine Ausbildung als Lehrerin gefunden! Hoffentlich werde ich bald junge Mädchen im Zeichnen und Malen unterrichten. Ich habe mir ganz fest vorgenommen, meinen Schülerinnen immer zu sagen, dass sie keinen gelehrten Mann brauchen, der ihnen bestätigt, dass sie talentiert sind! Ich werde sie immer ermutigen, ihren Interessen zu folgen.
27. Juni 1867: Ein Mantelet ist ein
Überwurf ohne Armschlitze,
der bis zur Hüfte reicht.