Das ist Julie. Sie ist 15 Jahre alt und geht in die 10. Klasse der höheren Töchterschule. Das ist ihr letztes Jahr in der Schule und eigentlich träumt sie davon, Kunstmalerin wie Rosa Bonheur zu werden, eine berühmte Tiermalerin des 19. Jahrhundert. Sie schmökert gern in alten Zeitschriften, die ihre Mutter und ihre Oma auf dem Trockenspeicher sammeln.
DER BAZAR war eine Mode- und Belletristik-Zeitschrift, die weit über die Grenzen des deutschsprachigen Raumes verbreitet und beliebt war.

Der Durst nach Ruhm

2. März 1861: Meine Oma hat mir heute einen Artikel aus dem Bazar vorgelesen und meinte, ich solle gut zuhören. In  dem Beitrag, unterzeichnet mit Marie Louise, hieß es, manche Frauen seien davon überzeugt, eine bedeutende Künstlerkarriere vor sich zu haben. Sie würden sich umsonst mühen weil sie nicht talentiert genug sind. Das wären nur wenige von uns Frauen. Der Durst nach Ruhm treibe die Frauen gegen den Willen ihrer Familien dazu, mit ihren Werken sogar an die Öffentlichkeit zu gehen. Das kann nur zu einer Niederlage führen, es sei denn, jemand, der es beurteilen kann, hat die Frau als hochbegabt und berufen erkannt. Ich bin bestimmt nicht begabt genug, um eine Künstlerin zu sein. Dabei zeichne ich so gerne, zum Beispiel meinen Mops Fufu.

Der Durst nach Ruhm.

[ ....] Fast noch mehr als die unersättliche Begierde nach Gelderwerb hat die Ruhmsucht sich der jetzigen Generation bemächtigt, und weit entfernt sich mit den zahlreichen Opfern zu begnügen, die ihr aus der Männerwelt täglich zufallen, hat sie auch in unserm Geschlecht ihre verzehrende Flamme zu verbreiten gewusst, und viele arme verblendete Mädchen verlassen ihre stille, friedliche Heimat, um den Lockungen der trügerischen Stimme zu folgen um nach kurzer Blütezeit der hochfliegendsten Plane, der kühnsten Erwartungen enttäuscht, matt und trostlos, die müden , Schritte wieder der trauten Stelle zuzulenken, die sie nie hätten verlassen sollen. Sich „einen Namen erwerben, hochgeehrt sein, Triumphe  feiern“, wie eine Jenny Lind, Rachel Milanollo , Rosa Bonheur, Frau von Paalzow, " das sind die Sirenenworte, mit denen die unselige Leidenschaft ihre Opfer betört. Sie glauben die geringste Anlage zu irgend einer Kunst, die kaum den Namen Talent verdient, verbunden mit dem festen Willen, sich berühmt zu machen, müsse genügen, den Genius herbeizuzaubern, der die Mitwelt entzücken soll.

[ ....] jenem zahllosen, unbedeutenden Künstler- und Virtuosenthum gegenüber treten jedoch die Jahrhunderte alten Vorurteile mit ganzer Stärke hervor, und das Los einer armen, alleinstehenden Künstlerin ist gewiss eins der beklagenswertesten auf Erden.[ ....]

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Ein Kleid für Julie

27. Juni 1861: Meine Oma hat mir ein Kleid
aus dem BAZAR genäht!
Ich finde es ganz wunderbar!

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Schnittmuster

Schnittmuster im BAZAR

Der Bazar bot mit seinen Schnittmusterbögen den geübten SchneiderInnen die Möglichkeit angesagte Mode zuhause herzustellen. Früher gab es sicherlich noch mehr Menschen, die das Handwerk des Nähens, Stickens oder jeder anderen Handarbeit beherrschten. Die Zeiten des Aufbruchs und technischen Veränderungen waren aber schon längst angebrochen.Seit ca. Mitte des 19. Jahrhunderts wird Bekleidung mit industriellen Techniken hergestellt. Die ersten Fabriken entstanden und die Maschinen wurden moderner und erschwinglicher. In den 1860ern Jahren, ein Jahrzehnt des Wandels, kann man mittlerweile von einer Branche sprechen . Die ausladende Krinoline wird immer seltener getragen. Mode wird durch den schnelleren Herstellungsprozess günstiger und immer mehr Boutiquen öffnen.Die Mode wird sich von nun an schneller verändern. Es entsteht ein genormtes Größensystem, sodass man Kleidung von der Stange kaufen kann. Die Konfektionsmode. Spannend und interessant für die Bazar-LeserInnen und KundInnen im Kaufhaus. In den neu entstandenen Fabriken arbeiteten zum größten Teil Frauen, vorwiegend unter bedrückenden Arbeitsbedingungen. Viele Handwerker mussten den Schneiderberuf ganz aufgeben oder als beruflich deklassierte Arbeiter ebenfalls in die Textilfabriken gehen, weil sie gegen die Konkurrenz der Massenproduktion nicht bestehen konnten. Langfristig blieben, neben Flickschneidern, relativ wenige Maßschneider übrig, die eine anspruchsvollere und zahlungskräftige Kundschaft bedienen. https://de.wikipedia.org/wiki/Konfektion
Wenn man damals von Massenproduktion und schlechten Arbeitsbedingungen gesprochen hat, konnte niemand ahnen, welche Ausmaße die Textil- und Bekleidungsbranche einmal annehmen würde.

Deine Berufung: Hausfrau

1. Mai 1864: Heute zeigte ich meiner Mutter und meinem Vater die Zeichnung von Fufu, an der ich sehr lange gezeichnet habe, sie fanden sie recht hübsch und gut, meine Oma meinte aber, dass ich lieber etwas für meine Aussteuer sticken solle. Meine Aufgabe sei es jetzt, dafür zu sorgen, dass mein zukünftiger Mann ein gemütliches, geordnetes Heim bekäme, zeichnen könne ich ja immer noch, wenn das erst mal geschafft sei. Was ist aber, wenn mich keiner heiratet? Dann werde ich wie meine Tante Amalie, die ewig darauf gewartet hat, dass Bernhard sie heiratet, daraus ist aber nichts geworden. Sie tut mir leid!

Unglaublich...

7.  Dezember 1865: Die Helene von nebenan ist schon verlobt! Ich mache mir große Sorgen, dass ich sitzenbleibe, das heißt, nicht geheiratet zu werden. Vielleicht bin ich ja nicht hübsch, charmant und weiblich genug, um das Interesse eines Mannes zu fesseln oder zu arm. Mein Herr Vater ist nur ein kleiner Beamter und meine Frau Mutter stöhnt oft darüber, wie sie mit so wenig Geld einen ordentlichen Haushalt führen soll. Was soll nur aus mir werden?
27. Juni 1866: Man kann das ganze auch anders sehen! Heute las ich mit meinen eigenen Augen den Artikel eines Juristen im BAZAR. Er schreibt doch tatsächlich, dass es gut für Männer und Frauen wäre, wenn mehr Frauen eine Arbeit hätten, vor allen die Unverheirateten. Dann würden sie der Familie nicht so auf der Tasche liegen. Es wäre auch dafür gut, um das Verhältnis der Geschlechter zu verbessern. So können Männer nicht mehr mit Frauen machen was sie wollen!

Frauenarbeit und der Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts

Von Professor Dr. Fr. von Holtzendorff

[ ....] Es wäre die Knechtung der Menschen unter einem physischen Gesetze, wenn man unverheirateten Personen weiblichen Geschlechts den Vorwurf des verfehlten Lebensberufes entgegenschleudern wollte.

[ ....] Wer den Grundsatz ernstlich meint, dass jedes unverheiratete Mädchen von dem Augenblicke an, wo seine Aussichten auf eine Heirat unter den Nullpunkt herabgesunken sind, als eine verfehlte Existenz betrachtet, die nur einen Anspruch auf Mitleid und eine moralische Armenpflege hat, verkündet damit ein Gesetz, welches zahlreiche Personen nach Überschreitung einer gewissen Altersgrenze zum Lebendigbegrabenwerden verurteilt.[ ....]

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Was soll aus mir werden?

29. Dezember 1866: Der Vater ist gestorben! Er war doch noch so jung, ach wie schrecklich. Gestern haben die Mutter, Großmutter und ich ihn begraben. Es kamen viele Leute. Die Frau Herzog schaute so mitleidig auf mich und fragte mich, was ich denn jetzt machen wollte. Meine Mutter meinte, das wir doch erst mal in Ruhe trauern dürften, aber ich glaube, das die Witwenpension nicht so üppig ist und sie sich auch schon Sorgen macht. Wie kann ich denn für meinen Unterhalt sorgen? Ich kenne gar kein Mädchen, dass etwas lernt und von zu Hause weggeht. Außer die Tochter von Lisa, unserer Wirtschafterin. Sie lernt in einer Hauswirtschaftsschule und wird Wirtschafterin wie ihr Mutter. Aber das ist doch nichts für mich, das kann ich mir nicht vorstellen.

Hinaus ins feindliche Leben?

27. Juni 1868: Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, weg aus meinem Elternhause zu gehen. Wie soll ich das anstellen? Es ist nicht schicklich für mich, alleine in der Fremde in ein Gasthaus zu gehen, um da zu übernachten oder auch nur etwas zu essen. Von den anderen körperlichen Bedürfnissen nach dem Essen und Trinken ganz zu schweigen.

Hinaus ins feindliche Leben!

[ ....] „Hinaus ins feindliche Leben!" Es ist ein hartes Muss für ein junges, zartes, halbkindliches Mädchenherz, an welches das Schicksal dies traurige Gebot gerichtet hat! Wenn es an einen frischen, gesunden Buben erging, ob er auch kaum die Knabenschuhe hinter sich geworfen hat, so dünkte es uns nicht entfernt so grausam. „So'n Bursch muss durch die Länder schweifen, die Ecken, Kanten 'runterschleifen, muss lernen, sich zu tummeln, rühren, den Stoß durch Gegenstoß parieren, bald unten und bald oben liegen, den Feind bekämpfen und besiegen, bis in ihm fertig ist der Mann und er sich selbst besiegen kann !" so spricht der treffliche Herr Pfarrer zum jungen Schmiedegesellen Hanne Nüte, und er hat Recht. Aber so ein armes, junges, schüchternes Ding von einem vierzehn - bis fünfzehnjährigen Töchterchen, gemacht dazu, noch ein paar Jahre lang im trauten Nest unter den schützenden Flügeln und dicht und nah dem warmen, wärmenden, zärtlichen Mutterherzen zu sitzen und, wenn es dann in solcher sorglichen Huth flügge geworden, seine zarten Schwingen zuerst unter der Anleitung der liebenden, erfahrenen Beraterin zu versuchen, — wenn das hinausgestoßen wird ins fremde, im günstigsten Fall gleichgültig kalte, im gewöhnlichsten —feindliche Leben, weil es Mutter und Heimat verlor, dann ist's ein bitteres Los . Das ist dann kein von lockenden Bildern, von kühnen Hoffnungen umgaukelter Auszug zur Eroberung des ungekannten Glücks, zur Verwirklichung der holden, glänzenden Träume der jugendlichen Fantasie. Wie unheimlich und unwirtlich dünkt dem armen Kinde da das Coupé „im Eisenbahnwagen dritter Classe"! Mögen die entzückendsten Landschaftsparadiese an dessen Fenster vorüberfliegen — dem umflorten Blick der blauen, tränenvollen Augen erscheinen sie alle wie ein trübes Gran, in unheimlichen Nebel gehüllt. Und ein solcher Nebel birgt die ungewisse Zukunft, die nicht mit dem kleinsten, lachenden Fata Morgana -Bilde freundlich dies Mädchenherz täuschen und es die triste Wirklichkeit der Dinge vergessen lassen mag. Vor dessen Fantasie steht nichts, als ein frisches Grab, in dem sich ihr für immer das bleiche, geliebte Mutterantlitz barg. Und wenn dies ernste Bild auf Augenblicke verdrängt wird und schwindet, so geschieht es nur durch das des fremden Hauses, der fremden, harten Pflichten, denen die Kleine entgegensieht, die gestaltlosen und dräuenden Bilder des nun beginnenden feindlichen Lebens". Und schon auf dem ersten Wege hinauserfährt sie, dass die Zeit der zarten, liebevollen Schonung selbst fortan für ihr wundes Herzchen vorüber ist. Nicht einmal die Wohltat bleibt ihm vergönnt, sich ungestört seinem Schmerz und seinen rückschauenden Träumen überlassen zu können. Mit derber täppischer Hand greift schon der Nächstbegegnende in deren Gespinst hinein. Er meint es vielleicht nichts weniger als schlimm, wie wenig das Gesicht, welches er über die Sitzlehne herüberbeugt, auch für ihn und seine gute Meinung sprechen möge. Aber selbst eine teilnehmende Frage, ein gutherziger Trost würde sie in diesem Augenblick nur wie die Berührung einer offenen Wunde schmerzen. Die Zeit indes wird auch diese schließen und vernarben lassen. Diese weinenden Augen werden auch wieder heiter, klar und gefasst ins Leben blicken. Denn gerade das „feindliche" schafft am schnellsten eine Art geistiger Schwielenhaut auch um  das zarteste Seelchen; einen schirmenden Panzer, der es „die Pfeil ' und Schleudern des wütenden Geschicks ertragen " lässt und es „wappnet gegen eine Welt von Plagen“.
Ludwig Pietlch.

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Hinaus ins feindliche Leben!

27. Januar 1869: Ich habe eine Möglichkeit für eine Ausbildung als Lehrerin gefunden! Hoffentlich werde ich bald junge Mädchen im Zeichnen und Malen unterrichten. Ich habe mir ganz fest vorgenommen, meinen Schülerinnen immer zu sagen, dass sie keinen gelehrten Mann brauchen, der ihnen bestätigt, dass sie talentiert sind! Ich werde sie immer ermutigen, ihren Interessen zu folgen.

Ein Mantelet

27. Juni 1867: Ein Mantelet ist ein
Überwurf ohne Armschlitze,
der bis zur Hüfte reicht.